4. Oktober 2019
Neue Zeitrechnung im Weinbau
Die Rheinpfalz berichtet über die Weinlese
In einem ausführlichen Artikel berichtet Rheinpfalz-Autor Ali Reza Houshami (siehe Bild) über die die Weinlese in den beiden Duttweiler Weingütern Bergdolt-Reif und Nett und Geissler:
Die Weinlese an der Mittelhaardt neigt sich dem Ende zu. Auch dieses Mal waren wieder unzählige Maschinen im Einsatz, um die Früchte zu ernten. Selbst Weingüter, in denen Handlese bislang großgeschrieben wurde, setzten auf technische Hilfsmittel.
Es ist fast 20 Jahre her, dass ich zuletzt als Erntehelfer im Weinberg war. Damals noch im Geisenheimer Rothenberg, einer Top-Weinlage im Rheingau. Ich verdiente mir etwas zum Taschengeld dazu, um mir eine Spielekonsole leisten zu können. Dieses Mal knie ich am frühen Morgen in einer Rebzeile, irgendwo in der Weinlage „Duttweiler Mandelberg“, um mich in einem Wettstreit zu behaupten. Wobei der Sieger des Duells schon von vornherein feststeht. Mein Gegner ist schließlich um einiges größer, bringt locker ein paar Tonnen auf die Waage und ist vor allen Dingen schneller als ich. Braud ist nicht wirklich sein Name, auch wenn er es stolz auf der Brust trägt. So heißt vielmehr sein Schöpfer, ein Landmaschinenhersteller. Mein Gegenüber ist ein Vollernter.
Während ich konzentriert mit einer spitzen, scharf geschliffenen Schere Traube für Traube abschneide, lenkt Bernhard Nett vom Duttweilerer Weingut Bergdolt Reif & Nett die wie ein überdimensionaler Traktor wirkende Maschine durch, oder besser gesagt: über die Rebzeilen hinweg, mit den Rädern rechts und links der Reihen. Der Vollernter kommt nur langsam voran. So richtig Gas geben kann Nett nicht. Mit dem Vollernter könnte er in einer Stunde lediglich bis zu 20 Kilometer zurücklegen. Klingt fürs Erste nicht so viel. Für viele Winzer ist die Maschine jedoch unerlässlich. Wieso? Sie braucht laut Nett etwa drei Stunden, um auf einer Fläche von einem Hektar die Früchte von den Rebstöcken abzuschütteln. Ein Erntehelfer brauche für die gleiche Menge rund 280 Stunden. Ohne einen Vollernter wäre es für seinen Betrieb demnach schwierig, gar unmöglich, die Früchte rechtzeitig zu ernten. Bewirtschaftet das Duttweilerer Weingut doch 33 Hektar Weinbergsflächen.
Szenenwechsel: Im etwa ein Kilometer entfernten Weingut wartet Christian Nett auf die Ernte. Er hat alle Hände voll zu tun, schließlich ist die Weinlese im Endspurt. Voraussichtlich an diesem Freitag wird die Saison nach gut drei Wochen zu Ende gehen. Nur noch die südlichen, spätreifen Rotweinsorten wie Cabernet Sauvignon oder Shiraz, die das Weingut unter anderem anbaut, werden später geerntet. „Der Jahrgang wird spitze“, sagt Nett, der 2001 zum väterlichen Weingut dazustieß und dieses mittlerweile führt. „Was soll ich auch anderes sagen?“, fügt er lachend hinzu. „Ja, der Jahrgang ist wirklich ziemlich gut. Vor allem wegen der ausgewogenen Balance zwischen Süße und Säure.“ Die Menge sei allerdings kleiner als im Vorjahr. Das hänge zum einen mit der geringen Niederschlagsmenge zusammen, zum anderen würden weniger Beeren an den Trauben hängen.
Es herrscht eine neue Zeitrechnung im Weinbau. Früher, vor 20 Jahren, sei erst Ende September mit der Weinlese begonnen worden, weiß Christian Nett. Inzwischen sind Lesehelfer und Vollernter immer zwei Wochen früher im Einsatz. „Bedingt durch den Klimawandel“, sagt Nett. Die Trauben seien früher reif, weshalb die Früchte auch früher geerntet werden. Wurde im Duttweilerer Weingut bis 2004 ausschließlich mit dem Vollernter gearbeitet, wurde in den Folgejahren verstärkt auf Lesehelfer gesetzt. Nur bei der Handlese würde die beste Qualität erzielt werden. „So konnten wir unreife und faule Beeren aussortieren“, erklärt Nett. Bei hochwertigen Weinen, beispielsweise bei Prädikatsweinen, ist die Handlese gängige Praxis.
Wie im vergangenen Jahr habe man die Trauben nicht so stark mit der Hand selektieren müssen, erzählt Christian Nett: „Da hatten wir dieses Jahr noch mal Glück.“ Es werde nämlich immer schwieriger, Erntehelfer zu finden. „Und das, obwohl wir Mindestlohn zahlen. Die Lesehelfer verdienen heute mehr als früher“, sagt Nett. Und doch seien immer weniger Menschen bereit, mit Eimer und Schere gewappnet durch die Rebzeilen zu gehen. „Früher bekam ich eine 15- bis 20-köpfige Erntehelfer-Mannschaft zusammen. Darunter waren viele Rentner und Studenten.“ Mittlerweile seien die älteren Erntehelfer gesundheitlich angeschlagen und fielen aus. Studenten scheinen sich nicht mehr dafür zu begeistern, bei der Weinlese mitzuwirken. „Zumal sie nicht mehr so zuverlässig sind“, berichtet Nett. Wolfgang Geissler, der ebenfalls in Duttweiler ein Weingut betreibt, kann den Trend bestätigen. Er hat bis vergangenes Jahr gänzlich auf den Einsatz von Vollerntern verzichtet. Für einen Familienbetrieb mit sieben Hektar Weinbergsfläche sei das noch möglich gewesen. Dieses Jahr konnte er die Trauben nicht mehr ausschließlich mit der Hand lesen: „Die Besatzung ist mittlerweile älter geworden, gleichzeitig ist es schwieriger geworden, Erntehelfer zu finden.“ Früher waren beispielsweise Hausfrauen in den Weinbergen im Einsatz. „Von dem Geld kauften sie sich selbst oder ihrem Mann etwas Schönes zu Weihnachten.“ Heute seien beide Eheleute berufstätig. Ohne Unterstützung aus dem Ausland sei die Handlese nicht mehr möglich, sagt Geissler.
Fotos: Rheinpfalz
Pressespiegel
Weinlese: Endspurt für die Winzer Rheinpfalz, 03.10.2019
Endspurt! Rheinpfalz, 06.10.2019